Start Meinung Christiane Wiemann von east end und die lernende Organisation

Christiane Wiemann von east end und die lernende Organisation

1336

Christiane Wiemann ist Expertin für Markenerlebnisse und Strategie-Chefin bei der Hamburger Experience-Agentur East End. Für den BlachReport hat sie einen Gastbeitrag über die „lernende Organisation” geschrieben.

Als Director Strategie & Innovation ist sie Teil der Führungsmannschaft um Oliver Golz, Felix Börner und Philipp Dorendorf. Zu ihrem Kundenstamm gehören unter anderem Marken wie Melitta, Ferrero, Coty, Lenovo und Oral-B.

Die Ausläufer der Corona-Pandemie halten speziell den Agenturen einen Spiegel vor. Es geht ums Personal. Denn der Markt für gute Fachleute ist leergefegt. Wo sind die alle eigentlich hin? Egal, wo man hinschaut, ob Projektmanager*innen oder Kreative, Techniker*innen sowieso. Die, die es da draußen noch gibt, sind alle selbstständig und können sich aussuchen, mit wem sie arbeiten wollen, wie oft und wie lange und für wie viel Geld.

Jetzt zeigt sich: Agenturen, die schon früh eine nachhaltige Personal-Kultur entwickelt haben, fallen heute weicher als die, die in „Human Resources“ nur ein Verwaltungstool für Arbeitskräfte – nach dem Motto „jede*r ist ersetzbar“ – sehen.

Agenturen besitzen nichts außer Wissen

Im Endeffekt besitzt eine Agentur lediglich ihr Wissen. Die Räume? Geht auch im Home-Office. Infrastruktur? Die PCs sind geleast oder wenn sie gekauft sind, dann sind sie ab dem Moment der Lieferung nichts mehr wert. Also überspitzt gesagt: Sie besitzt nichts. Umso existenzieller, dass sich eine Agentur als Wirkungsort versteht, der Menschen den Raum bietet, Wissen zu erlangen, es anzuwenden, zu teilen und die entstehende Kreativität zur Problemlösung einzusetzen.

Agenturen sind Systeme, die einer schnellen Taktung unterliegen. Unsere Planungs- und Realisierungszeitfenster sind eng. Der eigene Nachwuchs muss auch deswegen ausgebildet und fit gemacht werden, um die Teams insgesamt zu entlasten.

Unsere Vision: East End als „lernende Agentur”

Was das heißt? Der Aspekt „Lehren und Lernen“ war und ist essenzieller Bestandteil unserer Agentur-Kultur. Und ja, dafür müssen Ressourcen eingeplant werden, denn die Veränderungen, die Agenturen heute managen müssen, sind vielseitig und vielschichtig. Sie beginnen beim ureigenen Geschäftsmodell und dem Leistungsportfolio, gehen über zur Frage nach Wirtschaftlichkeit und interner und externer Positionierung, betreffen Arbeitsorganisation, Agentur-Haltung und -Kultur und gehen bis zu den harten Faktoren wie Räumen, Hardware, Software. HR geht heute weit über eine Stabsstelle zur Administration hinaus. Es geht immer stärker auch um Wissens- und Change-Management.

Damit das gelingt, darf jedoch Scheitern nicht mehr als „No-Go“, sondern als Teil des Lernprozesses verstanden werden. Wer schneller scheitert, findet auch schneller die innovativste Lösung. Dabei ist es die Aufgabe der Agentur-Führung, ebensolche Erfahrungswerte zu teilen, sodass sich das notwendige Wissen aussähen und an anderer Stelle wachsen kann – von Fachdisziplin zu Fachdisziplin und von „alten Hasen“ zur „neuen Generation“. Durch ein smartes Ineinandergreifen von Know-how wird so aus persönlicher Erfahrung nachhaltiges Wissen. Das alles und noch mehr ist als Haltung und Handlungsrichtlinien in der Agentur verankert und wird lebendig gehalten: durch konkrete Maßnahmen und das Schaffen der richtigen Rahmenbedingungen auf vielen verschiedenen Ebenen. Das nennen wir die „lernende Agentur”.

Was für uns das Prinzip „lernende Agentur” ausmacht und warum:

  1. Die Rolle der Personalabteilung nach oben priorisieren

Die Personalabteilung wird in Agenturen oft noch sehr administrativ verwendet. Stattdessen müssen Agenturen HR als Unternehmensbereich strategisch weiter „nach oben“ priorisieren. Dafür eignet sich beispielsweise die Einführung der Position des „Director Talents & Culture“. Diese Person setzt ihren Fokus auf die Unternehmenskultur, Zusammenarbeit und Werte. Und hilft so, dem Team einen stabilen Rahmen für ihre in Wandlung begriffene Arbeit zu geben. Zusätzlich präsentiert sich ein gefestigtes Team mit einheitlicher Kultur auch nach außen als Einheit und unterstützt die Agentur so beim Recruiting. Der Director Talents & Culture begleitet auch Talente bei der Bewerbung, hält den Kontakt zu High-Potentials in der Branche, initiiert das Kennenlernen und Onboarding und sät so schon ab Tag eins den Samen der Unternehmenskultur im Bewusstsein des neuen Teammitglieds.

  1. Heritage als Differentiator

Wir setzen intern wie extern stark auf unsere Erfahrung aus über 20 Jahren Markenerlebnisse für diverse Branchen, für B2B und B2C gleichermaßen in diversen Formaten. Das klingt jetzt vielleicht komisch, ist aber ein starkes Pfund und auch ein bewusster Grund, warum unsere Website in Teilen eher wie ein Case-Wikipedia daherkommt. In instabilen und fordernden Zeiten wie diesen ist unsere Erfahrung ein Sicherheits- und Führungsinstrument, aus dem wir Ressourcen schöpfen. Bei der Einarbeitung neuer Kolleg*innen, der Akquise und auch der Beratung unserer Kunden. Dieses langfristige Denken und Agieren ist vielen Agenturen total fremd. Bei uns gibt es auch nach 20 Jahren noch Kolleg*innen, die unsere Arbeit von Tag eins kennen und nach innen tragen. Sicherzustellen, dass dieses Wissen auch in neuen Kolleg*innen weiterlebt, ist eine elementare Säule im Prinzip der lernenden Agentur.

  1. East End Campus

Für eine „kleine, feine” Agentur wie East End mit rund 30 Mitarbeitenden ist es eher ungewöhnlich – aber wir führen unsere langjährige Campus-Reihe fort. Es handelt sich hierbei um ein Agentur-Workshop-Programm, das die Fachdisziplinen aus Strategie, Projektmanagement, Kreation, Marketing und IT verbindet. Sie beinhaltet zum Beispiel regelmäßige Workshops unserer Führungsmannschaft zu genau den Bereichen, die uns am Markt differenzieren. Wenn nötig, holen wir externe Expert*innen wie Coaches oder Tech-Spezialist*innen dazu. Viele Workshops sind Präsenz-Termine, einige haben wir aber auch als Webinar virtualisiert, sodass wir bestimmte Themen effizient reproduzieren können.

Diese Campus-Sessions schaffen ein übergreifendes Verständnis für die Tätigkeiten der einzelnen Fachbereiche und optimieren den Workflow. Dass alles immer ineinandergreift, ist kaum möglich, aber kontinuierlich daran zu arbeiten, aufzufrischen und zu justieren, schützt vor Reibungsverlusten. Selbstverständlich muss die Kreation wissen, wie Kunden-Kommunikation und Projekt-Realisierung funktioniert. Und umgekehrt müssen Berater*innen und Projektmanager*innen nachvollziehen, wie Ideen entstehen und Gestaltungsphasen aufgebaut sind. Und wie man im Diskurs sachlich und aufgeräumt die verschiedenen Bedürfnisse artikuliert und im Konsens bleibt.

  1. Nachwuchsförderung aktiv gestalten

Auszubildende und Trainees sind kein Luxus, den man sich in guten Zeiten leistet. Binden Agenturen junge beziehungsweise angehende Fachkräfte richtig ein, können sie von ihrem Spezialwissen und modernen Mentalität profitieren. Wie? Reverse Mentoring und aktiv gelebte Patenschaften im Team fördern die Wissens- und Kultur-Stärkung. Ideal dafür sind Kooperationen mit Hochschulen. Ein Must-Go für jede Agentur, denen die Zukunft unserer Branche am Herzen liegt: das jährlich stattfindende Treibhaus, DIE Nachwuchsschmiede der Event-Branche. An diesem Ort wird der Lehrplan durch Kooperationen mit Agenturen stark mit der Praxis verzahnt, was optimale Lernergebnisse garantiert. Mehr „hands-on“ geht nicht. Aktuell beschäftigen wir eine Auszubildende und vier Trainees – Tendenz steigend – und bleiben mit dem Treibhaus weiter eng verbunden.

  1. Feedbackkultur auch in Taten zeigen

Hoher Innovationsdruck führt automatisch zu mehr Fehlern. Und das auf verschiedenen Ebenen: im Projektmanagement, in der Konzept-Entwicklung, im internen Workflow und vielem mehr. Deshalb sollten Agenturen regelmäßige Reflektionsrunden einführen, in denen – neutral und zielführend – kommuniziert wird, was bei einem Projekt gut und was schlecht gelaufen ist. Leider herrscht in der Praxis oft der Impuls „Das Projekt ist vorbei, wir schenken uns die Reflektion und starten direkt mit dem nächsten“. Dabei ist es so wertvoll, wenn die Teammitglieder nach Abschluss eines Projektes ihre persönlichen Sichtweisen und Erfahrungen teilen, Insights zu Lieferant*innen geben und Vorschläge für Optimierungspotenzial einbringen können.

  1. Kreative Räume schaffen

Es muss ein Verständnis entwickelt werden, dass Kreativität überall herrscht – nicht nur in der „Kreation”, sondern im gesamten Team, das als Problemlöser kreative Perspektiven und Umsetzungen entwickelt. Im Daily Business merken wir: Spannende Impulse, Cases und Trigger kommen von jedem Teammitglied und jeder Erfahrungsstufe. Für maximalen Erfolg braucht es also, sofern es zur Aufgabenstellung passt, eine kreative Party bzw. ein „integriertes Brainstorming“, zu denen übrigens ebenfalls gerne mal Expert*innen von außen eingeladen werden. Hierfür braucht es innerhalb der Agentur nicht nur symbolische Räume für Inspirations-Meetings wie „Creative Flakes“, sondern auch echte – zum gemeinsamen Wohlfühlen, Spielen und Spinnen. Hier setzen wir gerade mit unseren Brand Space Designern neue Konzepte für multifunktionale Kreativ-Räume, die sich an unseren Bedürfnissen ausrichten, um. Das ist weitaus mehr als nur ein schick eingerichteter Raum mit Kicker, coolem Vintage-Teppich und Whiteboards an den Wänden.

  1. Zufriedenheit regelmäßig messen

Eine Agentur kann nur wachsen und sich verbessern, wenn sie sich regelmäßig Feedback einholt. Neben den internen Rückmeldungen, beispielsweise aus den angesprochenen Reflektionsrunden, muss das vor allem auch aus externen Evaluationen bestehen. Die Zufriedenheit der Auftraggeber*innen ist einer der wichtigsten Faktoren, aber auch Zulieferer und andere externe Dienstleister können wertvolle Anstöße liefern. Entwickelt daher einen Baukasten für begleitende Zufriedenheitsbefragungen und fragt die Punkte schon „am Projekt“ ab, um schnell reagieren respektive die richtigen Impulse verstärken zu können. Das bedeutet: kontinuierliche Evaluation, nicht erst zum Jahresende oder bei auslaufenden Verträgen.

Wenn Agenturen immer höher, schneller, weiter springen sollen, muss sich in der Basis-Konfiguration der Agenturen einiges ändern. Diese Aufgabe ist aber kein To-do für die Personalabteilung, sondern Teil der Agentur-Kultur, die durch die Unternehmensführung zum Leben erweckt und gehalten wird. Das passiert nicht nebenbei und einfach so, sondern bedarf verschiedener Aspekte, wie die lange Liste oben zeigt. Jedoch ist es der einzige Weg, Agenturen nachhaltig in die Zukunft zu führen.