Mit den mehrfach ausgezeichneten Retail- und Architektur-Spezialisten von hartmannvonsiebenthal hat die Berliner Kommunikationsagentur familie redlich ihr Leistungsportfolio erweitert. Über 240 Kreative arbeiten nunmehr für namhafte Auftraggeber aus dem privaten und öffentlichen Sektor unter einem Dach und präsentiert sich im Web gemeinsam auf www.neueraeume.jetzt. Wir haben – nicht nur darüber – mit Ingmar Klatt, Vorstand im Bereich Live-Kommunikation bei familie redlich, und Ralph Hartmann, Gründer und Geschäftsführer von hartmannvonsiebenthal gesprochen.
BlachReport: Welches Fazit ziehen familie redlich und hartmannvonsiebenthal nach 100 Tagen unter einem Dach?
Ingmar Klatt: Naja, eigentlich begann unsere gemeinsame Reise schon wesentlich früher. Die Unterschriften haben wir am 28. November 2020 gesetzt, das sind dann schon mehr als 200 Tage . . . Wir befinden uns demnach in der klassischen Post-Merger-Integrationsphase. Das heißt: Prozesse und Strukturen harmonisieren, gemischte Teams bilden. In Zeiten von Remote Working und Homeoffice haben wir als Warm-up großen Erfolg mit einem internen Podcast-Format rund um alle Merger-Themen gehabt. Bis zu 350 Abrufen bei rund 260 Mitarbeiter:innen konnten wir pro Folge registrieren.
Ralph Hartmann: Wir haben aber nicht nur nach innen sondern auch nach außen kommuniziert – und damit gemeinsam neue Mandate gewonnen. Dazu gehören beispielsweise Ritter Sport mit einem Concept Store in Berlin Mitte und das Deutsche Institut für Normung (DIN) mit einem Ausstellungs- und Kommunikationsprojekt. Kurzum, das Fazit nach 200 Tagen fällt erstmal recht positiv aus.
BlachReport: Sie wollen Kommunikationsräume neu denken – digitale und analoge Räume, öffentliche und private. Was heißt das?
Ingmar Klatt: Public- und Privat Spaces, also alles vom Markenerlebnisraum bis zur Messeauftritt eines Bundesministeriums denken wir seit jeher gleichzeitig digital und analog. Wir nennen das ‚Resonanzräume schaffen‘, weil über alle Sinne und alle Kanäle mit Kunden und Besuchern ein Dialog möglich werden soll. ‚Neu denken‘ wollen wir diese Räume interdisziplinär – auf Basis unserer pandemischen Erfahrungen. Und wir sind überzeugt, dass man das nur ganzheitlich schaffen kann.
Ralph Hartmann: Die Kombinationen beziehungsweise der Übergang von realen zu digitalen Räumen ist ja zunächst nichts Neues. Mehr als jemals zuvor wurde durch Corona aber nun allen bewusst, dass ein realer Raum eine echte kommunikative Legitimation benötigt Was erfahre ich vor Ort, was ich nicht auch durch den Besuch einer digitalen Veranstaltung erfahren könnte? Und für digitale Erlebnisse gilt die Frage natürlich genauso. Diese Herausforderungen gemeinsam anzugehen, war auch einer der Gründe für unseren Merger beziehungsweise die Ausgangslage für die ersten Gespräche. Das Ziel sind vollintegrierte Kommunikationslösungen.
BlachReport: Was verstehen Sie unter ‚vollintegrierte Kommunikationslösungen‘?
Ingmar Klatt: Vollintegrierte Kommunikation ist die Königsdisziplin, die natürlich nicht für jedes Mandat notwendig und sinnvoll ist und auch nicht immer kulturell passt. ‚Vollintegriert‘ bedeutet für uns erstens eine echte multilaterale Kollaboration mit dem Auftraggeber über Spezialisten auf beiden Seiten hinweg. Und zweitens eine Vorgehensweise, die in der Konzeptionsphase nichts ausschließt und völlig kanal- und formatoffen eine hundertprozentige Zielerreichung ansteuert. Das klingt vielleicht nicht revolutionär, findet aber in der Wirklichkeit nur selten statt. Und wir wollen das auf ein neues Level bringen.
BlachReport: Wie geht es weiter mit der Live-Kommunikation? Wird sie irgendwie digitaler?
Ralph Hartmann: Klar, digital nimmt immer mehr zu, aber die Anforderungen sind in einem stetigen Wandel. Daher plädieren wir ganz klar für bestenfalls vollintegrierte, aber immer zielgruppenspezifische Formate statt einer Schrotflintenstrategie. Insgesamt wird die Kommunikation aber wohl event- und erlebnisorientierter, denn die durchgreifende Digitalisierung führt dazu, dass die Menschen auf einer persönlichen emotionalen Ebene abgeholt werden wollen. Das wird sich auch noch weiter zuspitzen, denn Digitalisierung lässt zwar vielfältige Kommunikationsmöglichkeiten zu, kann aber auch zu sehr unpersönlichen Erfahrungen führen.
Ingmar Klatt: Warum gehe ich zu bestimmten Live-Formaten oder besuche bestimmte Kommunikationsräume? Ich suche den Austausch mit anderen Menschen und direkte Emotionen. Ich glaube, dass die Stärken des jeweiligen Raums, sei er analoger oder digitaler Natur, in der Kommunikation häufig noch mehr herausgearbeitet werden müssen. Ein Live-Konzert mit Sir Simon Rattle in der Elphilharmonie ist ein akustisches Erlebnis, dass genau an diesem Ort seine Einmaligkeit erfährt. Dennoch kann ich das Erlebnis natürlich in den digitalen Raum verlängern, und zwar im Vorfeld, während und im Nachgang des Konzerts. Also: Live-Kommunikation wird digitaler – aber nur mit wirklichem Mehrwert!
Ralph Hartmann: Wichtig ist ebenso die bessere Zielgruppenfokussierung. Dafür reicht es nicht, nur ein Stück Messe, ein Stück Bühneninszenierung und ein Stück Get-together plus Vor- und Nachbereitung aneinanderzureihen. Deswegen nutzen wir Resonanzräume, in denen wir die gewünschten Effekte provozieren können. Das wird uns künftig beschäftigen.
Ingmar Klatt: Das gilt auch für Retail. Auch hier geht es in Richtung Experience und Markenerlebnis. Kanalübergreifende Kommunikationskonzepte schaffen dann die Verbindung zu unterschiedlichen Zielgruppen.
BlachReport: Messen werden voraussichtlich kleiner. Wie müssen Messe- und Ausstellungsdesign darauf reagieren?
Ingmar Klatt: Wenn man das wüsste . . . Hybrid ist das, was bleibt – aber nicht als Format, sondern als Haltung. Insofern dürften die Flächen der Messestände tatsächlich kleiner werden. Quadratmeter bringen aber ohnehin keine Leads. Content first zählt. Dafür müssen Informationen digital ansprechend aufbereitet werden und abrufbar bleiben. Das schafft Möglichkeiten für die Mehrfachnutzung der Inhalte inklusive einer Erhöhung der Kontaktfrequenz unabhängig von Raum und Zeit.
Ralph Hartmann: Messe als Kontakt- und Vertriebsbörse bleibt, Design und Präsentation ändern sich und reflektieren dabei Zeitgeist und Ästhetik. Aber das ist nicht pauschal zu verstehen, denn viele Messen sind individuell und haben auch ganz klar ihre Eigenheiten. Eine Drupa lässt sich deshalb nicht mit einer Bauma vergleichen. Als Raum-Designer müssen wir daher darüber nachdenken, wo wir den Messebesucher abholen können und welche Erwartungen und Mentalitäten dafür zu berücksichtigen sind. Was steht an erster Stelle? Content? Verkauf? Image? Künftig werden große Stände wohl tatsächlich kleiner werden und sich dabei auf relevante strategische Funktionen konzentrieren.
BlachReport: Was bedeutet das für die Kommunikation im Raum?
Ralph Hartmann: Für Messeaussteller erfordert das eine speziellere und spitzere Präsentation. Das Setting wird anders, und die Exponate müssen gezielter und vielleicht auch anders präsentiert werden. Auf der anderen Seite müssen Platz und Raum für Kommunikation und Begegnung entstehen, die es woanders so nicht gibt.
BlachReport: Durch viele Medien geistert gerade das Thema Urban Entertainment. Was bedeutet das für Sie und Ihr Angebot?
Ingmar Klatt: Die Diskussion um Urban Entertainment als Instrument gegen die weitere Verödung der Innenstädte hat in der Pandemie einen Schub erfahren, weil die Innenstädte durch die Kontaktlimitierungen und Abstandsgebote weiter gelitten haben. Das wird uns zukünftig beschäftigen, lässt aber wohl nur vollintegrierte Lösungen zu. Kommunen, Stadtplaner, Kultur und Kreative müssen dafür an den runden Tisch und sich austauschen. Monodisziplinär lässt sich das nicht lösen.
Ralph Hartmann: Urban Entertainment kommt aus den Einkaufscentern in den USA, wo mittlerweilen 30 bis 50 Prozent der Flächen für neue Erlebnisse genutzt werden. Anders funktioniert das auch nicht mehr. Bei uns wäre diese Art der Flächennutzung wohl undenkbar, schon aus kalkulatorischen Gründen. Ich befürchte, dass es durch Aktivitäten zur Wiederbelebung der Innenstädte zu Kannibalisierungseffekten kommen wird. Der Ansatz muss daher ein anderer sein und über das Stadtmarketing und punktgenau passende Erlebnisse im urbanen Raum kommen – sozusagen Mehrwert im Stadtkern generieren. Städte müssen Attraktivität schaffen und dafür Leben, Wohnen und Shopping mit Kultur und Erlebnissen zusammenbringen. Dafür sind kreative Leuchttürme erforderlich, um die sich weitere Angebote gruppieren. Das Stadtinnenräume müssen neu entdeckt und erschlossen werden. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist natürlich die Verkehrslenkung beziehungsweise -planung, um Angebot und Nachfrage zusammenzubringen und neue Lebensräume zu schaffen.
BlachReport: Ist das Thema so heiß, wie es gerade gekocht wird?
Ingmar Klatt: Die Herausforderung bestand schon in den Vor-Pandemie-Zeiten, Corona hat das Thema lediglich gepusht und sichtbarer gemacht. Mit nachlassendem Druck wird das Thema möglicherweise wieder in den Hintergrund treten. Langfristig wird es aber ein wichtiges Thema bleiben, weil lebenswerte urbane Räume und neue Modelle der Wertschöpfung zusammengedacht werden müssen.
BlachReport: Ist bei Ihnen mit den drei Agenturen unter einem Dach die Komplettausbaustufe erreicht?
Ingmar Klatt: Kleine Berichtigung: Wir bieten momentan drei Agenturmarken mit drei klaren Kommunikationsdomänen – wobei familie redlich für das wirklich Vollintegrierte steht. Intern und extern stehen wir dabei noch vor zahlreichen Aufgaben, keine Frage. So wenig wie der Medienwandel gesamtgesellschaftlich abgeschlossen ist, so wenig haben wir eine Komplettausbaustufe erreicht. Doch wir sind auf einem guten Weg.
BlachReport: Wo steht familie redlich in fünf Jahren?
Ingmar Klatt: Wir sind jetzt seit 20 Jahren am Markt tätig, haben mit einem Kaltstart und einer Handvoll Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen begonnen und haben es bis unter die Top 20 der inhabergeführten Agenturen geschafft. Das ist doch ein schönes Ergebnis. Dort zu bleiben und Kunden immer wieder von unserer Leistungsfähigkeit zu überzeugen, ist eine herausfordernde und spannende Aufgabe. Unserem Ziel, eine wirklich vollintegriert arbeitende Agentur zu sein, wollen wir bis dahin natürlich einen weiteren Schritt nähergekommen sein.
BlachReport: Vielen Dank für die Beantwortung unserer Fragen.
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