Start Meinung Festivals: Was geht bei Sustainability und Müllvermeidung?

Festivals: Was geht bei Sustainability und Müllvermeidung?

2036

Beim letzten Summer Breeze Open Air Dinkelbühl war es auf den Campingplätzen anschließend so sauber wie noch nie am Abreisetag. Zwar haben die Fans des Metal Festivals schon immer tatkräftig mit angepackt, doch dieses Ergebnis hatten die Veranstaltenden nicht erwartet. Grund dafür ist ein Müllkonzept unter dem Motto „Less Trash, More Thrash“, das zum Mitmachen animierte.

Um den Gästen die Mülltrennung zu vereinfachen, wurden an den Einlassschleusen zum Festivalgelände vorgefertigte Pakete ausgehändigt. Es konnte, dank der Unterstützung vom Sponsor EMP, ein Projekt realisiert werden, welches mit 25.000 „T(h)rasher Bags“ die Besuchenden für Müllvermeidung sensibilisieren und zum aktiven Mitwirken animieren sollte. Lokal produziert und gemeinsam mit der Lebenshilfe Feuchtwangen mit entsprechenden Müllsäcken vorbereitet, boten die „T(h)rasher Bags“ Infos zur korrekten Entsorgung des Festivalmülls an einer der knapp 50 Müllstationen.

Der BlachReport hat dazu Daniele Murgia von der Nachhaltigkeitsberatung 2bdifferent befragt, der sich mit dem Thema Müllvermeidung, Sustainability und Kreislaufwirtschaft bei Festivals und anderen Großveranstaltungen intensiv auseinandergesetzt hat, was insbesondere auch für das immer weiter zunehmende Interesse von Werbetreibenden an einer Beteiligung an Festivals eine große Rolle spielen dürfte.

BlachReport: Beim Summer Breeze Open Air haben die Besucher ihren Müll teilweise selbst eingesammelt und haben beim Einlass Müllbeutel für die Entsorgung bekommen. Ist das ein gangbarer Weg, um die Müllberge vieler Festivals zu vermeiden?

Daniele Murgia: Ich habe mir das Konzept sehr intensiv angeschaut und kenne das Festival aus persönlichen Gesprächen mit den Organisatoren und der Nachhaltigkeitsbeauftragten. Natürlich ist es ein gangbarer Weg und besonders wichtig, weil es seine Praxisreife beweisen konnte.

Aber ‚Müllberge verhindern‘ beginnt für mich lange vor dem Festival bereits in der Kommunikation. Da ist es von Anfang an wichtig, auch das Müllkonzept verständlich und nachvollziehbar zu erklären. Und: Wenn es die Möglichkeit gibt, sollten so viele Verbrauchsartikel wie möglich vor Ort zu fairen Preisen angeboten werden. Das gilt für Getränke sowieso. Aber so eine Art Festivalsupermarkt ist ebenfalls denkbar und nützlich.

Das Thema ‚Zelt‘ ist leider immer noch ein schwieriger Aspekt bei Festivals. Zelte werden oftmals einfach liegengelassen, insbesondere billige Zelte. Das ist teilweise in anderen Ländern noch schlimmer, da wird laut Statistik jedes vierte bis fünfte Zelt irgendwo liegengelassen. Hier haben Veranstalter die Option, Zeltvermieter in ihr Servicepaket mit reinzunehmen.

Ein Beispiel ist Utopia Camping. Der Anbieter baut vor Ort Zelte auf oder bietet Zelte, Schlafsäcke und Camping-Equipment in einem sehr guten Zustand in der Vermietung. Das kann man sich vorab bereits reservieren. Upcycling ist gerade bei den Zelten ebenfalls ein Thema. Da gibt es mittlerweile verschiedene Start-ups, die aus liegengelassenen Zelten, Materialien und was sonst noch so anfällt, Kleidung herstellen. Hier gibt es zum Beispiel ein Unternehmen in Hamburg, das wirklich tolle Funktionskleidung aus alten Zelten produziert.

Wenn es um Reststoffe oder eine intelligente Kreislaufwirtschaft geht, empfiehlt sich Trash Galore, mit denen wir auch sehr eng zusammenarbeiten. Ein weiteres Thema in diesem Zusammenhang ist die Stoffstrom-Analyse, die wir ja auch bei 2bdifferent in Zusammenarbeit mit unserem Kollegen Dr. Christoph Soukop durchführen. Hier wird die Analyse ganzer Festivals möglich: Was geht rein an Materialien, was sind ‚gute‘ Wertstoffe und können im Kreislauf bleiben, was wird wiederverwendet, was wird recycelt? Und was wird dann der Entwertung zugeführt?

BlachReport: Wie sieht es denn bei dem Festivalbesucher selbst aus? Ist er dafür aufgeschlossen? Macht er das mit oder sagt er: Nö, ich habe jetzt hier bezahlt und will nur feiern.

Anreisende beim Summer Breeze Open Air Dinkelbühl wurden gleich bei Ankunft mit den Thrasher Bags ausgestattet (Foto: Silverdust)

Daniele Murgia: Natürlich ist der Hedonismus in der Festivalbranche immer noch weit verbreitet. Ich bin selbst über den Sommer hinweg auf vielen Festivals unterwegs und registriere das vorherrschende Mindset. Es gibt aber auch andere Entwicklungen. Ich habe zum Beispiel beim Wurzelfestival eine Guided-Tour mit interessierten Besuchern über ein Festivalgelände gemacht, um sie an verschiedenen Stationen über die vielen Sustainability-Maßnahmen zu informieren und ein bisschen Storytelling zu betreiben. Es waren circa 30 Personen mit am Start, die mit mir über das Gelände gelaufen sind und sich dafür ernsthaft interessiert haben, was hinter den Kulissen passiert zum Thema Nachhaltigkeit.

Das ist natürlich nur ein Beispiel, das aber zeigt, dass die Besucher immer mehr erfahren wollen, wirklich hinter die Fassade schauen und sich gegebenenfalls auch einbringen wollen. In 2022 habe ich auch auf dem Wurzelfestival einen Workshop organisiert, in dem ich mit 25 bis 30 Teilnehmern konkrete nachhaltige Maßnahmen erarbeitet habe. Die Ergebnisse, die dabei herauskamen, waren ausgezeichnet und wurden dem Festivalteam zugeführt. So konnte sich der Besucher integrieren und sein Festival mitgestalten.

BlachReport: Wie sieht es denn mit der Bereitschaft der Veranstalter und vielleicht auch der Künstler aus, eigene Beiträge für mehr Ökologie in diesem Segment zu leisten?

Daniele Murgia: Diese Entwicklung ist zum Glück schon länger in der Festival- und Musikbranche angekommen. Es gibt viele engagierte Initiativen, die immer wieder den Finger in die Wunde legen, wie zum Beispiel ‚Music Declares Emergency‘ – eine politische, unabhängige Initiative, die von Künstlern und Künstlerinnen, Verantwortlichen und Organisationen aus der Musikindustrie gegründet wurde, um eine gemeinschaftliche Reaktion auf den Klimanotstand aufzusetzen.

Unter den Künstlern ist sicherlich Coldplay aktuell das prominenteste Beispiel. Auch wenn viele der Maßnahmen noch nicht komplett ausgereift sind und deren Fußabdruck noch verbesserungswürdig bleibt, ist mit das Wichtigste ist, dass sie mit ihrer Wirkung als Künstler, mit ihrer extremen Strahlkraft und mit ihrer Reichweite ein klares Zeichen setzen. Da gibt es viele Potenziale. Das sensibilisiert sowohl die anderen Künstler als auch die Konzertbesucher.

BlachReport: Eine große Belastung für die Umwelt sind ja die Energieerzeuger vor Ort, was eigentlich nicht anders geht, gerade bei Festivals, denn die wenigsten Festivalgelände haben eine Netzstromversorgung. Was können denn die Alternativen zu diesen betriebenen Aggregaten sein?

Daniele Murgia: Es ist tatsächlich so, dass viele Festivals irgendwo in der Prärie in Off-Locations stattfinden. Es ist ein enormer logistischer Aufwand, dort die ganze Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. Strom ist und bleibt weiterhin eines der Kernthemen. Wenn keine feste Stromversorgung zur Verfügung steht, bleibt leider immer noch in vielen Fällen das dieselbetriebene Aggregat.

Aber auch hier gibt es im Verbrauch und in der Anwendung viele Unterschiede. Da lohnt es sich, die Anbieter zu vergleichen und zu reagieren, denn die Verbräuche sind auf diesem Sektor unterschiedlich. Wenn ich den 30 Jahre alten Dieselgenerator einem aktuellen Dieselaggregat gegenüberstelle, dann hat er natürlich einen anderen Verbrauch und eine andere Technologie als die heutige.

Ein aktuelles Modell, was natürlich die Zukunft nicht nur in der Festivalbranche sein könnte, ist das Thema Wasserstoff. Das Ziel ist es, die Dieselmotoren durch mit Wasserstoff betriebenen Brennstoffzellen zu ersetzen. Da gibt es mittlerweile einige Anbieter und auch entsprechende Pilotprojekte wie zum Beispiel ‚Everywh2ere‘. Weitere Entwicklungen für die Praxisreife sind aber noch erforderlich, um effiziente und wirtschaftliche Möglichkeiten anbieten zu können. Auf der anderen Seite muss man sich vor Auge halten, dass auf deutschen Festivals und in der Festivalindustrie im Jahr ungefähr 400 Millionen Liter Diesel verbraucht werden. Da ist es einfach enorm wichtig, gerade auch unter dem Aspekt der Förderung, das Thema Wasserstoff voranzubringen.

BlachReport: Wo sehen Sie zukünftig die großen Herausforderungen in der Festivalbranche?

Daniele Murgia: Wir müssen in der sehr eigenständigen Festival-Branche sehr weit vorne ansetzen, wenn wir über Herausforderungen in einem greifbaren Rahmen reden wollen und bevor wir über nachhaltige Maßnahmen nachdenken – gerade nach den schwierigen Pandemie-Jahren, Kriegen, den immer weiter steigenden Preisen, der Inflation, Personalmangel und ständigen Rechtfertigungen wegen der Fördertöpfe. Und hier gibt es ganz klare konkrete Themen, die es zu stemmen gilt, wenn es um die realistische Möglichkeit von Emissionsreduzierung geht: Kosten, Kapazitäten, funktionierende Kooperationen und Netzwerke: Stichwort Einkaufsgemeinschaften, Wissenstransfer und Mindset. Ein paar davon wurden hier schon angerissen. Genau diese Themen wurden kürzlich auf der Future of Festivals bei meinem erneut sehr spannenden Panel kritisch diskutiert: Zwei Festivals – Lollapalooza und Pulse Open Air – und der Dienstleister eska24 sind dabei auf der Bühne gewesen. Thema: Nachhaltiges Festivalmanagement – mit oder ohne ISO 20121?

Fazit des Panels: die Branche muss sich noch stärker vernetzen und mehr in den Know-how Transfer gehen. Wenn sich die nächsten Festivals zur Umsetzung der ISO 20121 entscheiden, kann die ganze Branche schwer davon profitieren. Dadurch wird die Industrie stärker unter Druck gesetzt werden, um nachhaltigere Lösungen für einen fairen Preis zur Verfügung zu stellen. Der Wille zur weiteren, schnelleren Veränderung ist da und wenn alle Player an einem Strang ziehen, können viele positive Perspektiven geschaffen werden.

Ich bewege mich nun seit über 25 Jahren als Besucher, Musiker und Berater in der Festivalbranche und noch nie waren die genannten Herausforderungen so groß wie heute. Der Klimawandel und alle Auswirkungen dazu sind Fakt, und wenn die Festivalbranche ihren Teil dazu beitragen soll, müssen alle dazu beitragen, langfristige Kooperationen entstehen, Fördergelder bereitgestellt und ohne große Bürokratie bewilligt werden, Festivals noch intensiver in den Austausch gehen und effiziente Strukturen aufgesetzt werden. Dann haben wir eine sehr gute Basis für die nächsten Jahren für unsere gesellschaftlich extrem wichtige Festival-Branche.

BlachReport: Vielen Dank für die Beantwortung unserer Fragen.

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