
Das Angebot an Nachhaltigkeitszertifizierungen ist mittlerweile unübersichtlich. Wer blickt da noch durch? Wir haben dazu Jürgen May von der Nachhaltigkeitsberatung 2bdifferent befragt, der für uns Licht ins Dunkel brachte. Das Interview wurde schriftlich geführt.
BlachReport: Es gibt immer mehr Nachhaltigkeitszertifizierungen. Zu viele?
Jürgen May: Ja, der Markt der Nachhaltigkeitszertifizierungen ist mittlerweile sehr unübersichtlich geworden. Die Vielzahl an Zertifikaten, Labels und Initiativen führt dazu, dass sowohl Unternehmen als auch Verbraucher den Überblick verlieren. Dies kann dazu führen, dass das eigentliche Ziel – eine glaubwürdige und messbare Nachhaltigkeit – verwässert wird. Weniger, aber dafür wirklich transparente und fundierte Zertifizierungen wären wünschenswert.
BlachReport: Haben manche Nachhaltigkeitszertifizierungen den Status von ‚Ablassbriefen‘?
Jürgen May: Leider ja. Der Begriff ‚Ablassbrief‘ passt gut zu sogenannten ‚Greenwashing`-Zertifikaten, die Unternehmen eine nachhaltige Fassade verleihen, ohne dass tiefgehende Maßnahmen erforderlich sind. Zertifizierungen, die nur oberflächliche Kriterien abprüfen oder auf freiwilligen Selbstauskünften basieren, gefährden die Glaubwürdigkeit der gesamten Branche. Solche Zertifikate schaden nicht nur der Umwelt, sondern auch den Unternehmen, die ernsthaft nachhaltige Maßnahmen umsetzen.

Um Greenwashing in der MICE- und Eventbranche künftig zu verhindern, spielt die Green Claims Directive der Europäischen Union eine entscheidende Rolle. Diese Richtlinie fordert klare und überprüfbare Standards für umweltbezogene Aussagen und setzt neue Maßstäbe für Green Labels und Zertifizierungen:
- Nachweispflicht: Unternehmen müssen ihre Umweltaussagen mit belastbaren Daten und konkreten Maßnahmen untermauern. Zertifizierungen sollten auf objektiven und messbaren Kriterien basieren.
- Unabhängige Überprüfung: Zertifizierungen müssen durch akkreditierte Prüfstellen erfolgen, die die Nachhaltigkeitsleistung regelmäßig auditieren und bewerten.
- Transparenz: Umweltkennzeichnungssysteme müssen stabil, nachvollziehbar und verlässlich sein. Unternehmen müssen offenlegen, welche Standards hinter dem Zertifikat stehen und wie die Zertifizierung geprüft wurde.
- Konsequenzen bei Nichteinhaltung: Es drohen strenge Sanktionen wie Geldstrafen bis zu vier Prozent des Jahresumsatzes, Beschlagnahmung von Einnahmen aus Greenwashing-Transaktionen und sogar der Ausschluss von öffentlichen Aufträgen oder Finanzierungen.
Um sich langfristig als nachhaltiger Anbieter in der MICE- und Eventbranche zu positionieren, sollten Unternehmen verstärkt auf Zertifizierungen setzen, die strengen Prüfungen standhalten und vollständig transparent sind. So wird nicht nur Greenwashing vermieden, sondern auch das Vertrauen der Kunden in nachhaltige Veranstaltungen gestärkt.
BlachReport: Welche Nachhaltigkeitszertifizierungen sind im nationalen und internationalen Business überhaupt anerkannt?
Jürgen May: In der MICE- und Eventbranche gibt es eine Vielzahl an anerkannten Nachhaltigkeitszertifizierungen, die unterschiedliche Schwerpunkte abdecken – von Umweltmanagement über soziale Verantwortung bis hin zur Energieeffizienz. Hier sind die wichtigsten Zertifizierungen mit kurzer Beschreibung:
Ganzheitliche Zertifizierungen:
- ISO 20121: Internationaler Standard für nachhaltiges Eventmanagement mit umfassender Abdeckung aller Nachhaltigkeitsdimensionen (Ökologie, Soziales, Wirtschaft). Ideal für Veranstalter, Locations und Dienstleister in der MICE- und Eventbranche.
- Green Globe: International anerkannt, besonders im Tourismus- und Eventsektor. Bewertet Umweltmanagement, soziale Verantwortung und wirtschaftliche Nachhaltigkeit.
- ZNU-Standard Nachhaltiger Wirtschaften: Zertifizierung des Zentrums für Nachhaltige Unternehmensführung (ZNU). Deckt ökologische, soziale und ökonomische Nachhaltigkeit ab und bietet praxisnahe Ansätze.
- EcoVadis: Bietet eine umfassende Bewertung der Nachhaltigkeitsleistung von Unternehmen. Besonders relevant für Lieferkettenmanagement, da viele große Unternehmen EcoVadis nutzen, um die Nachhaltigkeit ihrer Partner zu bewerten. Eine gute EcoVadis-Bewertung stärkt die Glaubwürdigkeit und bietet einen Wettbewerbsvorteil bei Ausschreibungen und öffentlichen Aufträgen.
- Green Events Austria verlangt die Einhaltung strenger ökologischer und sozialer Kriterien. Sie sind besonders in der MICE- und Eventbranche anerkannt und umfassen alle Arten von Veranstaltungen, von Kongressen, Tagungen und Festivals bis hin zu Sportevents und Gemeindeveranstaltungen.
- Swisstainable ist eine Initiative von Schweiz Tourismus, die die Schweiz als nachhaltiges Reiseziel positioniert und sich gezielt an die MICE- und Eventbranche richtet. Sie fördert umweltfreundliche Praktiken bei Veranstaltungen, unterstützt die Nutzung regionaler Ressourcen sowie die Zusammenarbeit mit lokalen Partnern.
- B Corp Zertifizierung: Zertifizierte B Corporations oder B Corps sind Vorreiter der globalen Bewegung für eine inklusive, faire und regenerative Wirtschaft. Dabei handelt es sich um Unternehmen, die von B Lab überprüft wurden und hohe Standards in den Bereichen soziale und ökologische Leistung, Transparenz und Verantwortung erfüllen.
Umwelt- und Energiemanagement:
- ISO 14001: Bietet einen internationalen Standard für Umweltmanagementsysteme. Unterstützt Unternehmen dabei, ihre Umweltleistung kontinuierlich zu verbessern und gesetzliche Anforderungen zu erfüllen.
- EMAS (Eco-Management and Audit Scheme): Vor allem in Europa etabliert, legt es Wert auf Umweltmanagement und Transparenz.
- ISO 50001: Konzentriert sich auf Energiemanagementsysteme. Hilft Veranstaltungsorten und Dienstleistern, Energieverbräuche zu optimieren und CO₂-Emissionen zu reduzieren.
- Ökoprofit: Ein Programm, das Unternehmen unterstützt, Kosten durch ökologische Maßnahmen zu senken. Besonders für kleinere Unternehmen und Eventlocations geeignet, die ihre Betriebskosten und Umweltbelastung reduzieren möchten.
- Blauer Engel: Umweltzeichen in Deutschland für besonders umweltschonende Produkte und Dienstleistungen. Eignet sich für Eventlocations, die hohe Umweltstandards umsetzen, insbesondere bei Ressourcenschonung und Energieeffizienz.
Soziale Verantwortung und Nachhaltigkeit:
- ISO 26000: Richtlinie für gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen (Corporate Social Responsibility, CSR). Keine klassische Zertifizierung, sondern eine Leitlinie zur Integration sozialer Verantwortung in Geschäftsprozesse.
- ISO 45001: Internationaler Standard für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutzmanagement. Relevant für Veranstalter und Locations, die hohe Sicherheitsstandards für Mitarbeiter und Gäste gewährleisten wollen.
Regionale Zertifizierungen:
- Sustainable Meetings Berlin: Regionales Zertifikat speziell für die Berliner MICE- und Eventbranche. Bewertet 62 Nachhaltigkeitskriterien und hilft Unternehmen, ihre Veranstaltungen nachhaltig zu planen.
Zertifizierungen für Hotels, Locations und Catering:
- GreenSign: Zertifizierung für Hotels, Büros, Gastronomie und Wellnessbereiche. Besonders relevant für Hotels und Cateringunternehmen, die in der MICE- und Eventbranche tätig sind.
- GreenSign Events: Fokussiert sich auf die nachhaltige Organisation von Veranstaltungen wie Kongressen, Tagungen und Seminaren. Bietet praxisnahe Leitfäden zur Umsetzung klimafreundlicher Maßnahmen in allen Veranstaltungsbereichen.
- Certified Green Hotel: Bewertet Nachhaltigkeitsmaßnahmen in Hotels, inklusive CO₂-Bilanzierung und sozialer Verantwortung. Optimal für Übernachtungsmöglichkeiten bei MICE-Veranstaltungen.
- Certified Event Location: Speziell für nachhaltige Veranstaltungsorte. Bewertet werden Energieeffizienz, Abfallmanagement und die Einbindung regionaler Dienstleister.
- GreenSign Gastro: Der GreenSign Gastro Katalog umfasst über 100 Kriterien und bewertet unter anderem Cateringbetriebe in den Bereichen nachhaltige Beschaffung, Abfallvermeidung, Einsatz regionaler Produkte et cetera.
- DGNB-Zertifizierung (Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen): Diese Zertifizierung ist besonders für Locations interessant. Sie bewertet Gebäude und Veranstaltungsorte nach Nachhaltigkeitskriterien wie Energieeffizienz, Ressourcenschonung und dem sozialen Umfeld.
CO₂-Management und Klimaschutz:
- Climate Neutral Event von myclimate: Berechnung und Kompensation des CO₂-Fußabdrucks von Veranstaltungen. Unterstützt Veranstalter bei der Umsetzung klimaneutraler Events.
- atmosfair CO₂-Rechner: Hilft bei der Emissionsberechnung, insbesondere bei Anreise, Transport und Logistik.
- 2bdifferent: Gewerkspezifische CO₂-Bilanzierung: Bietet maßgeschneiderte CO₂-Bilanzen für alle Gewerke der MICE- und Eventbranche, einschließlich Mobilität, Logistik, Standbau, Catering, Übernachtungen und Abfallmanagement.
BlachReport: Gibt es so etwas wie den ‚Gold-Standard‘ bei Nachhaltigkeitszertifizierungen und manifestiert sich das auch im Preis?
Jürgen May: Ja, die ISO 20121 gilt in der Eventbranche oft als ‚Gold-Standard‘, da sie international anerkannt und sehr umfassend ist. Auch EMAS und DGNB genießen einen sehr hohen Stellenwert, insbesondere in Europa. Diese Zertifizierungen sind oft mit höheren Kosten verbunden, da sie tiefgehende Audits, regelmäßige Überprüfungen und umfangreiche Dokumentationen erfordern. Der Preis ist jedoch gerechtfertigt, da Unternehmen damit eine hohe Glaubwürdigkeit und Marktakzeptanz erreichen.
BlachReport: Wie lässt sich die Wertigkeit einer Nachhaltigkeitszertifizierung überprüfen?
Um die Wertigkeit zu überprüfen, helfen folgende Kriterien:
- Transparenz: Sind die Kriterien und Bewertungsprozesse öffentlich einsehbar?
- Unabhängigkeit: Werden die Zertifikate von unabhängigen Stellen vergeben?
- Regelmäßigkeit: Gibt es wiederkehrende Audits und Prüfungen?
- Umfang: Deckt die Zertifizierung alle drei Nachhaltigkeitsdimensionen (Ökologie, Soziales, Wirtschaft) ab?
- Glaubwürdigkeit: Wird die Zertifizierung von anerkannten Branchenverbänden oder Institutionen unterstützt?
BlachReport: Welche Empfehlung für eine Nachhaltigkeitszertifizierung können Sie den Unternehmen in der MICE-Branche geben?
Jürgen May: Wir unterscheiden grundsätzlich zwischen einem Managementsystem und einer Zertifizierung. Die Wahl zwischen beiden Ansätzen hängt maßgeblich davon ab, ob ein Unternehmen oder Veranstalter auf langfristige Prozessverbesserung oder auf die Erfüllung spezifischer Nachhaltigkeitskriterien abzielt.
Managementsysteme, wie beispielsweise ISO 20121:2024, bieten Unternehmen die Möglichkeit, Nachhaltigkeit strategisch und prozessbasiert in ihre Geschäftsabläufe zu integrieren. Sie zeichnen sich durch Flexibilität und Prozessoptimierung aus und unterstützen durch den kontinuierlichen Verbesserungsprozess, Nachhaltigkeit als integralen Bestandteil der Unternehmensstrategie zu verankern.
Ebenso ist EMAS ein strukturiertes System, um Umweltleistungen kontinuierlich zu verbessern. Es kombiniert die Vorteile eines Managementsystems – ähnlich wie ISO 14001 – mit erweiterten Anforderungen an Transparenz und Rechtskonformität. EMAS (Eco-Management and Audit Scheme) kann auch in der Eventbranche eingesetzt werden, insbesondere wenn es darum geht, die Umweltleistung von Veranstaltungen systematisch zu verbessern und nachhaltige Prozesse zu etablieren. Während EMAS primär als Umweltmanagementsystem für Unternehmen und Organisationen bekannt ist, eignet es sich auch für spezifische Projekte wie Events, Messen, Kongresse und Festivals.
Im Gegensatz dazu bieten Zertifizierungen wie Green Globe, GreenSign, Certified Hotel und Sustainable Meetings Berlin eine sichtbare und marktfähige Nachhaltigkeitsauszeichnung. Sie basieren auf der Erfüllung klar definierter Standards und ermöglichen Unternehmen eine schnelle und spezifische Nachhaltigkeitsbewertung. Diese Zertifikate sind ideal für Betriebe, die durch konkrete Nachhaltigkeitsnachweise ihre Marktposition stärken möchten
BlachReport: Vielen Dank für die Beantwortung unserer Fragen.